Vermessung einer Landschaft

Jede Landschaft kann vermessen werden. Ich bin gut ausgerüstet mit der Technik, die meine Aufgabe erfordert. Sie wiegt nicht viel, ich trage sie im Rucksack.
Diesmal trage ich auch Wasser in großen Mengen, damit ich in der zu vermessenden Landschaft nicht verdurste. Ich habe mich auf Trockenheit und Kargheit eingestellt. Mögliche Verletzungen in diesem Terrain: Zerrungen und Verstauchungen durch die Unebenheit des Bodens, Risse und kleinere Abschürfungen bei der Besteigung größerer Erhebungen, Verdursten, Erblinden.
Ich gehe langsam in die Landschaft hinein. Ich spüre den porösen schrundigen Boden unter den Füßen.
Es gibt, wie erwartet, keine Vegetation.
Es liegt, wie nicht erwartet, ein hoher Ton in der sauerstoffarmen Luft. Ich weiß nicht, woher er kommt, es sind keine anderen Lebewesen zu sehen, der Ton klingt auch nicht wie ein Schrei oder ein Vogelruf. Es ist eher eine Art Warnsignal, ein Sirenenton, so wie kurz vor einer Sprengung.
Auf einmal befürchte ich eine plötzliche Eruption. Ich habe keine Informationen über solch ein Ereignis, also ist es ausgeschlossen, aber der Ton, der sich allmählich, mit jedem Schritt in die Landschaft hinein, in meinen Kopf fräst, wird dringlicher. Der aufgerissene Boden und die heiße Luft umklammern mich, der Ton dringt scharf in mich ein. Ich bleibe stehen und halte mir die Ohren zu, obwohl ich schon weiß, daß dieser kümmerliche Versuch mich nicht schützen kann.
Ich halte an der Vermutung fest, daß mir nichts geschehen kann.
Dann wische ich mir die Stirn und nehme einen ersten Schluck aus der Wasserflasche, viel zu früh, ich bin ja gerade erst losgegangen. Ich werde mich versetzen lassen, das hätte ich schon längst tun sollen – in bewohnte Landschaften, in grünere Gegenden, in bevölkerte, belebte, ja liebliche, warum nicht: liebliche Landstriche, auch Paradiese müssen vermessen werden, und ich weiß nicht, wer dafür eingeteilt ist, ich jedenfalls nicht, ich bin spezialisiert auf Wüsten, Steppe und alpines Gelände, aber das ist gar nicht einzusehen, ich werde das ändern. Wenn ich zurückkomme, werde ich das ändern, ich werde die Veränderung zumindest beantragen und hoffen, daß sie bewilligt wird. Ich will Vogelgesang hören oder wenigstens Vögel am Himmel sehen.